Die meisten Menschen, die eine Arthrose haben, stellen sich vor, dass ihre Gelenke abgenützt sind, ähnlich wie die Bremsbeläge beim Auto mit der Zeit verschleißen. Es ist aber keineswegs so, dass der Knorpel nach und nach abgerieben wird. Die Schmierung durch die Gelenkflüssigkeit ist so perfekt, dass es auch im hohen Alter nicht zu einem Verschleiß durch Reibung kommt. Auch der Gelenkknorpel selbst zeigt keine nennenswerten Alterserscheinungen. Trotzdem kommt es bei Arthrose zu Schäden am Gelenkknorpel. Diese Schäden findet man nicht über die gesamte Knorpeloberfläche verteilt, sondern an lokal begrenzten Stellen. Interessant dabei ist, dass die Arthrose fast immer an den Bereichen des Knorpels beginnt, die nur geringer Belastung ausgesetzt sind.
Wenn Arthrose also nicht durch Reibung oder Belastung verursacht wird, wodurch dann?
Die Ernährung des Knorpels ist entscheidend. Wenn sie gestört ist, ändert sich seine innere Chemie, er ist seinen Aufgaben nicht mehr optimal gewachsen und erleidet Schaden.
Knorpelgewebe enthält weder Blut- noch Lymphgefäße. Wie sollen also Nährstoffe zu den Knorpelzellen gelangen und Abbauprodukte abtransportiert werden? Dies geschieht durch Diffusion sowie über einen Pumpmechanismus. Die Gelenkinnenhaut (innere Schicht der Gelenkkapsel) ist gut durchblutet. Sie produziert die Gelenkflüssigkeit (Synovia), die alle Nährstoffe enthält, die der Knorpel braucht. Sie wird in den Gelenkspalt abgegeben und durch die Bewegungen der Gelenke gleichmäßig über den gesamten Gelenkknorpel verteilt. Hier können die Nährstoffe durch Diffusion zu den Knorpelzellen gelangen, bzw. die Abbauprodukte der Knorpelzellen in die Gelenkflüssigkeit.
Dieser Vorgang wird wesentlich durch einen Pumpmechanismus unterstützt. Durch den Wechsel von Druck und Entlastung auf den Gelenkknorpel beim Bewegen wird der Knorpel wie ein Schwamm ausgedrückt und danach wieder voll gesaugt. Er kann also Abbauprodukte abgeben, wenn er Druck bekommt, und Nährstoffe aufnehmen, wenn er Entlastung erfährt. Daraus wird deutlich:
Sowohl Dauerdruck und als auch Dauerentlastung führen zu Ernährungsstörungen des Knorpels.
Da sich in einem Gelenk immer nur zwei Punkte der Gelenkflächen berühren – denn Gelenkflächen sind niemals kongruent –, wirkt sich der Pumpmechanismus jeweils nur an diesen Punkten aus. Um aber den Gelenkknorpel gesund zu erhalten, ist der Wechsel von Druck und Entlastung an jedem Punkt des Gelenkknorpels nötig. Das bedeutet: Die Gelenke müssen in alle Richtungen so weit wie möglich bewegt werden, damit alle Gebiete des Knorpels einem Druck ausgesetzt werden. Diese Forderung wird jedoch heutzutage selten voll erfüllt. Die meisten von uns sitzen zu viel oder haben eine andere einseitige Tätigkeit. Viele Bewegungen, die in unseren Gelenken theoretisch möglich sind, nützen wir im Alltag nie. So geschieht es, dass einige Areale unserer Gelenkknorpel viel zu selten den Wechsel von Druck und Entlastung erfahren. Es entwickelt sich nach und nach eine Arthrose im Gelenk.
Eine weitere mögliche Ursache für die Entstehung von Arthrose sind Störungen im myofaszialen System. Unser Körper stellt sich auf unsere Bedürfnisse ein, d.h. unsere Muskeln haben gerade so viel Länge und Kraft, wie benötigt wird, um Bewegungen im Alltag, Beruf und Sport zu ermöglichen. Vor allem Verkürzungen machen die Muskeln und Faszien störanfällig. Verklebungen im myofaszialen Gewebe vermindern die Anpassungsfähigkeit des myofaszialen Systems. Da reicht schon eine ungewohnte Bewegung oder ein Stolpern, bei dem von einigen Muskelfasern und den begleitenden Faszien mehr Länge gefordert wird, als sie es gewöhnt sind, um eine Bewegungsstörung zu verursachen. Es kommt zu kleinen Verletzungen im faszialen Gewebe, was wiederum zu erhöhter Spannung oder Vernarbung in den betroffenen myofaszialen Abschnitten führt. Bei bestimmten Gelenkstellungen versucht der Organismus Zug auf solche „erkrankten“ Muskelfasern zu vermeiden, sodass es im Gelenk zu einer Abweichung von der normalen Bewegungsbahn kommt, was zu erhöhten Scherkräften (Kombination aus Druck und Schub) auf den Knorpel führt. Scherkräfte sind besonders schädlich für den Knorpel.
Es führen also zwei Mechanismen zur Arthrose:
a) Eingeschränkte Bewegung der Gelenke durch einseitige Bewegungen und Haltungen im Alltag, Teile des Gelenkknorpels bekommen Dauerdruck (z.B. langes Sitzen), andere Teile des Gelenkknorpels bekommen Dauerentlastung (z.B. endgradige Hüftgelenksstreckung wird nie erreicht).
b) Mehrere Muskelfasern, die in ihrer Bindegewebsspannung krankhaft erhöht sind, führen beim Bewegen zu einer Abweichung von der normalen Bewegungsbahn, was wiederum Scherkräfte auf den Gelenkknorpel wirken lässt.
Wenn wir von Arthroseschmerzen sprechen, gehen wir meist davon aus, dass es der geschädigte Gelenkknorpel ist, der den Schmerz verursacht. Der Schmerz wird aber in das Gelenk projiziert, damit wir bestimmte Bewegungen vermeiden, die das fasziale Gewebe weiter schädigen würden. Ursache ist nicht in erster Linie die Arthrose, also der Knorpelschaden, sondern das erkranke fasziale Gewebe. Das erklärt auch das oft beobachtete Phänomen, dass die Knorpelschäden auf dem Röntgenbild nicht in Relation zu den Schmerzen stehen. Wir kennen Patienten mit schweren Knorpelschäden, die relativ wenig Schmerzen haben, und Patienten mit geringen Knorpelschäden mit starken Schmerzen.
Arthroseschmerzen sind eben nicht vom Grad des Knorpelschadens abhängig, sondern von der Menge des erkrankten myofaszialen Gewebes.
Jede Bewegung, die eine zu hohe Belastung für die betroffene Region bedeutet, wird schmerzhaft und zwar dort, wo die Bewegung stattfindet, im Gelenk. Der Schmerz ist ein Schutzmechanismus, der weitere Schäden am erkrankten myofaszialen Gewebe verhindern soll.
Arthrosebehandlung
Aus den oben beschriebenen Zusammenhängen ergibt es sich von selbst, wo wir mit der Behandlung ansetzen müssen.
– Das erkrankte fasziale Gewebe innerhalb des myofaszialen Systems muss gefunden und wieder funktionstüchtig gemacht werden.
– Die Beweglichkeit der Gelenke muss wiederhergestellt werden.
– Es müssen Ausgleichsübungen gefunden werden, die genau die Bewegungen beinhalten, die in unserem Alltag nicht vorkommen, um die Ernährung des Knorpels zu gewährleisten und erneuten Schmerzen vorzubeugen. Wenn das geschehen ist, kann sich auch der Gelenkknorpel wieder erholen, und die Arthrose kommt zum Stillstand.